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Die Argumente der Bären überwiegen

Ausgabe vom 05.05.2020

Die Argumente der Bären überwiegen

von Sven Weisenhaus

Sah es gestern noch so aus, als seien die Kurserholungen an den Aktienmärkten hierzulande und in den USA beendet, so lassen die heutigen Kursanstiege daran schon wieder Zweifel aufkommen. Wie es weitergeht, hängt letztlich von der Stimmung der Anleger ab. Und die ist bekanntlich wankelmütig.

Aktienindizes sind wieder schnell weit gelaufen

Charttechnisch gibt es bislang nur wenige eindeutige Hinweise darauf, dass die Märkte bald wieder den Rückwärtsgang einschalten. Ein gewichtiges Argument für fallende Kurse ist aber sicherlich, dass die Kurserholungen inzwischen schon weit gelaufen sind (5-gliedrige Kursverläufe) und daher zumindest eine Gegenbewegung (ABC-Korrektur) wahrscheinlicher wird.

Schaut man sich den Nasdaq 100 an (siehe folgender Chart), dann kann man auch schon wieder eine klar überkaufte Situation erkennen. Und man erkennt, dass die Aktienmärkte schon seit Monaten zu Übertreibungen neigen.

Von einer Übertreibung in die nächste

Ende 2018 brachen die Aktienindizes dramatisch ein. Und dieser Trend verstärkte sich auch noch ausgerechnet genau in der Zeit, in der die Anleger eigentlich eher eine ruhige Marktphase und eine Jahresendrally gewohnt sind. Doch genauso schnell, wie es mit den Kursen damals abwärts ging, erholten sie sich auch wieder. Der Nasdaq 100 konnte binnen nur 83 Handelstagen bzw. 4 Monaten um fast 2.000 Punkte (mehr als 33 %) zulegen (siehe linkes grünes Rechteck).

Nasdaq 100 - Übertreibungen

Angesichts der vorangegangenen Kursverluste war diese Kurserholung noch nachvollziehbar. Doch dass der Index dann von Oktober 2019 bis Februar 2020 um fast 2.300 Punkte binnen 94 Tagen und somit noch stärker zulegen konnte (mittleres Rechteck) als bei der schon extrem starken Kurserholung vom Jahresbeginn (linkes Rechteck), kann man nur als Übertreibung bezeichnen. (Um dies zu verdeutlichen habe ich das linke Rechteck kopiert und auf die weiteren Aufwärtsbewegungen gelegt. Alle drei Rechtecke im Chart sind also gleich breit und hoch.)

Dass die Aktienmärkte anschließend einbrachen, war natürlich auch der Ausbreitung des Coronavirus geschuldet, aber eine deutliche Korrektur wäre aufgrund der völlig überkauften Märkte sowieso fällig gewesen. Mit der aktuellen Kurserholung (rechtes Rechteck) setzt der Nasdaq 100 inzwischen jedoch noch einen drauf. Denn er hat binnen nur 26 Tagen bislang 2.244 Punkte bzw. mehr als 33 % zugelegt. Den extrem starken Kursanstieg von Anfang 2019 hat er somit in nur etwa einem Viertel der Zeit zurückgelegt.

Aktienmärkte außer Kontrolle?

Diese Kursbewegungen sind nicht normal. Zumal sie sich häufen und immer extremer verlaufen. Die Aktienmärkte scheinen außer Kontrolle zu geraten. Und Schuld daran sind insbesondere die Notenbanken. Denn sie hebeln mit ihren Massen an Liquidität die üblichen Marktmechanismen aus. Es kommt zu immer heftigeren Übertreibungen nach oben und unten.

Für Trader ist dies durchaus erfreulich. Denn sie können binnen sehr kurzer Zeit sehr hohe Gewinne erzielen. Doch dahinter steckt dann viel Spekulation und auch Glück. Denn die Kursbewegungen sind derzeit unkalkulierbar.

Kursanstiege zuletzt nur noch von dünnen Umsätzen getragen

Hinzu kommt, was wir unseren Lesern im Premium-Trader zusammen mit der Analyse des Nasdaq 100 schon am Donnerstag geschrieben haben: Die Umsätze, mit denen die Aktienmärkte zuletzt auf neue Höhen getrieben wurden, waren relativ dünn. „Die Kursgewinne scheinen nur noch von wenigen Anlegern getragen zu werden. Und das passt zu der letzten Phase (Welle 5) eines Aufwärtstrends“, hieß es dazu. Die Kursverluste am Freitag und Montag könnten daher nur ein Vorgeschmack gewesen sein.

Aber die Bären müssen eben noch mehr leisten, um die Stimmung am Aktienmarkt nachhaltig zu ihren Gunsten zu kippen. Sie haben aber gute Chancen. Denn fundamental spricht aktuell fast alles für fallende Aktienkurse.

Wirtschaft erst 2022 zurück auf Vor-Krisen-Niveau?

So mehren sich zum Beispiel die Hinweise darauf, dass die Erholung der Konjunktur länger dauern wird, als es die Anleger derzeit scheinbar erwarten. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Freitag verschiedene Szenarien für die Wirtschaft der Eurozone vorgestellt. In jedem dieser Szenarien kommt es wegen der Virus-Krise zu einem massiven Konjunktureinbruch. Im ungünstigsten Fall halten die Währungshüter einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im 2. Quartal 2020 von 15 % für möglich, gefolgt von einer sich länger hinziehenden und unvollständigen Erholung. Und laut diesem Negativszenario würde die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone auch bis Ende 2022 noch deutlich unter dem Niveau von Ende 2019 liegen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie des Zentrums für Infektionskrankheiten-Forschung der Universität von Minnesota. Demnach dürfte die Corona-Pandemie bis zu 2 Jahre andauern und erst mit der Immunisierung von rund zwei Dritteln der Bevölkerung eingedämmt werden.

Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, stellte am Donnerstag bereits weitere Hilfen des Kongresses für die US-Bundesstaaten in Aussicht. Diese könnten damit bis zu 4 Jahre (!) unterstützt werden, sagte die Demokratin. Bislang erwartet wohl kaum jemand, auch wir nicht, dass die Wirtschaft erst in 4 Jahren auf ihr Vor-Pandemie-Niveau zurückkehren wird. Aber die Szenarien der EZB, die Studie der Uni und die Aussage von Pelosi sind weitere Hinweise darauf, dass die Krise auch nicht binnen weniger Wochen oder Monate überstanden sein wird.

Zweite Abwärtswelle zunehmend wahrscheinlich

Ich stelle mich daher darauf ein, dass ein verändertes Konsumverhalten die Umsätze und Gewinne der Unternehmen nachhaltig beeinflussen und belasten wird. Eine zweite Abwärtswelle an den Aktienmärkten, bei der es sogar zu neuen Korrekturtiefs kommen kann, halte ich zunehmend für wahrscheinlich.

Auch positive Meldungen in Sachen Coronavirus können an dieser Erwartung aktuell kaum etwas ändern. Die USA haben dem Medikament Remdesivir eine Sonderzulassung für die Behandlung von Corona-Patienten erteilt. Und die Sorge, dass Covid-19 bei bereits von der Krankheit Genesenen erneut ausbrechen könnte, scheint inzwischen unbegründet. Berichte aus Südkorea, dass die Infektion bei mehreren geheilten Patienten ein zweites Mal ausgebrochen war, beruhten offenbar auf Messfehlern. Doch diese Meldungen ändern am aktuellen Status-Quo nichts.

Gewinnerwartungen sinken weiter

Und das zeigen auch die Gewinnerwartungen, die binnen einer Woche schon wieder deutlich weiter nach unten korrigiert wurden. Vor genau einer Woche berichtete ich, dass Analysten für das 2. Quartal 2020 ihre Gewinnerwartungen für den S&P 500 auf -31,9 % zurückgenommen hatten. „Die Prognosen für das 3. Quartal wurden von -8,5 % auf -16,9 % und die für das 4. Quartal von -0,9 % auf -7,4 % zurückgenommen“, schrieb ich dazu. Die aktuellen Werte lauten:

2. Quartal 2020: -36,7 %
3. Quartal 2020: -20,1 %
4. Quartal 2020: -9,4 %
Gesamtjahr 2020: -18 %

Die Schere zwischen Kurs- und Gewinnentwicklung öffnet sich damit immer weiter.

S&P 500: Kursentwicklung vs. Gewinnentwicklung

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 beträgt inzwischen 20,3. Laut den Analysten von FactSet ist es das erste Mal seit April 2002, dass der S&P 500 ein Forward-12-Monats-KGV von 20,0 oder höher verzeichnete.

S&P 500: Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)

Und man kann diese extrem hohe Bewertung der US-Indizes auch nicht damit begründen oder auch nur relativieren, dass die laufende Berichtssaison zum 1. Quartal 2020 besser läuft als zuletzt von den Analysten erwartet.

Bilanzsaison zum 1. Quartal 2020 läuft unterdurchschnittlich

Denn inzwischen hat mehr als die Hälfte der Unternehmen aus dem S&P 500 ihre Bilanzen vorgelegt. Und 65 % von ihnen konnten zwar die (reduzierten) Erwartungen schlagen, doch liegt dies unter dem Durchschnitt der vergangenen 5 Jahre. Und auch die Differenz von +2,5 % zwischen den (zuletzt) durchschnittlich erwarteten und den tatsächlichen Gewinnen liegt unter dem 5-Jahres-Durchschnitt (+4,9 %). Setzt sich die Berichtssaison wie bisher fort, werden die Gewinne um 13,7 % unter dem Vorjahreswert liegen. Am 15. April hatte ich berichtet, dass Analysten für das 1. Quartal 2020 einen Gewinnrückgang im S&P 500 von -12,3 % erwartet hatten. – Die laufende Bilanzsaison ist also ebenfalls eher negativ zu werten.

Anleihekäufe der EZB teilweise verfassungswidrig

Kritisch sollte man daher auch das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts werten. Denn das Gericht hat mehreren Klagen gegen die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) überwiegend stattgegeben. Die Beschlüsse der Notenbank seien kompetenzwidrig ergangen, entschieden die Karlsruher Richter.

Das aktuelle Urteil bezieht sich auf das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), mit dem die EZB zwischen März 2015 und Ende 2018 einen Großteil der bislang rund 2,6 Billionen Euro schweren Ankäufe von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren begründet hat. Zum 1. November 2019 wurden diese Käufe neu aufgelegt, zunächst im Umfang von 20 Milliarden Euro im Monat. Fraglich ist nun, wie sich das Urteil auf diese und auch andere Käufe auswirkt.

Da die Verfassungsrichter in dem Kauf von Staatsanleihen allerdings keinen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung sehen, dürften die Käufe erst einmal weitergehen. Es wird wohl lediglich rechtliche Anpassungen geben müssen. Denn der Bundesbank ist es nur dann untersagt, nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung des EZB-Aufkaufprogramms weiterhin mitzuwirken, wenn der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nicht nachvollziehbar darlegt, dass das Programm verhältnismäßig ist, heißt es in dem Urteil.

Es ist also lediglich die Frage, ob der EZB dies gelingt. Das sollte aber eigentlich kein großes Problem darstellen. Denn sie muss lediglich für mehr Transparenz sorgen, was unter der neuen Führung von Christine Lagarde aber sowieso geplant war. Andernfalls könnte den Märkten eine der wichtigsten Grundlagen wegfallen, die zu den aktuellen Kurserholungen geführt haben.

Damit rechne ich auf absehbare Zeit nicht. Doch auch mit den Anleihekäufen der Notenbanken sehe ich kaum noch Luft nach oben für die Aktienkurse. Es überwiegen einfach die Argumente der Bären, die sich daher früher oder später wohl auch wieder durchsetzen werden.


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Ihr
Sven Weisenhaus
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