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Showdown der Big Techs
Ausgabe vom 27.07.2020
Showdown der Big Techs
von Torsten Ewert
in dieser Woche ist der Terminplan der Börsianer mit einer Menge wichtiger Daten vollgepackt. Manche davon können sogar erklären, warum es zuletzt so kräftige Abschläge für die Technologiewerte gab.
Vorstandschefs müssen vor dem Kongress antanzen
Gut, ein Grund für die Rückschläge des NASDAQ 100 kann natürlich einfach die Übertreibung bei den Tech-Aktien sein, die Sven Weisenhaus am Freitag nochmals verdeutlicht hat. Aber erfahrungsgemäß lassen sich die Anleger nicht ohne triftigen Grund aus ihren Investments (und Wunschträumen) drängen. Selbst die offensichtliche Tatsache einer Übertreibung reicht dafür längst nicht aus, wie die Börsengeschichte schon mehrfach gezeigt hat. (Eher ist das Gegenteil der Fall…)
Am Mittwoch dieser Woche steht jedoch ein womöglich richtungsweisendes Ereignis für die Big 4 der US-Technologieunternehmen an: Die Vorstandschefs bzw. Haupteigentümer von Alphabet (Google), Amazon, Apple und Facebook müssen sich einer Anhörung des Justizausschusses des US-Repräsentantenhauses stellen.
Bei den Anhörungen von Sundar Pichai (Google), Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook (Apple) und Mark Zuckerberg (Facebook) geht es um die verschiedenen kartellrechtlichen Vorwürfe, mit denen die vier Unternehmen konfrontiert sind. Sie ist Teil einer einjährigen Untersuchung des mutmaßlich wettbewerbswidrigen Verhaltens von Unternehmen im Technologiesektor.
Plattform-Strategien im Zwielicht
Dabei untersucht der Unterausschuss für Kartellrecht des Justizausschusses verschiedene mögliche Missbräuche durch jedes der vier Unternehmen: Googles monopolartige Kontrolle über den Internet-Anzeigenmarkt, die Benachteiligung von Drittverkäufern und Kunden durch Amazon auf seinem Marketplace, Apples restriktive Store-Richtlinien und die kartellrechtlich umstrittenen Übernahmen von WhatsApp und Instagram durch Facebook.
Im übergeordneten Kontext geht es also um die Dominanz einer kleinen Anzahl von digitalen Plattformen in verschiedenen Märkten, wodurch andere Anbieter verdrängt und monopolartige Strukturen geschaffen und zementiert werden. Damit steht auch die Frage im Raum, inwieweit die bestehenden Kartellgesetze noch angemessen sind oder an die neuen Gegebenheiten der Internet-Ökonomie angepasst werden müssen bzw. was getan werden muss, um bestehende oder neue Richtlinien adäquat durchzusetzen.
Die Anhörung und ihre möglichen Folgen könnten erhebliche Effekte auf die Geschäftsmodelle der Technologiebranche – und damit auch für Anleger – haben. Abgesehen von den Big 4, um die es in dieser Woche konkret geht, verfolgen eine Reihe anderer Unternehmen ähnliche Strategien: Uber will eine weltumspannende Plattform für Beförderungsleistungen schaffen; andere Mobilitätsdienstleister planen in Teilbereichen (z.B. E-Roller) Ähnliches. Delivery Hero und Co. streiten um die Herrschaft bei Essenslieferungen, andere – z.B. abermals Amazon – wollen den Markt für Lieferungen von Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs aufrollen.
The Winner takes it all
Es ist nicht nur ein offenes Geheimnis in der Branche, sondern wird längst auch von den Unternehmen und Investoren freimütig eingeräumt, dass diese Geschäftsmodelle am Ende nur dann funktionieren können, wenn eine Plattform den Markt dominiert – nach dem Motto: The Winner takes it all! Platz für zwei oder gar mehr Anbieter gibt es nicht, weil ein Konkurrenzkampf die ohnehin schmalen Margen bei solchen Dienstleistungen vollends erodieren würde.
Genau aus diesem Grund hat Facebook zu überzogenen Preisen Instagram und WhatsApp gekauft. Deshalb hat die deutsche Delivery Hero ihre Deutschlandaktivitäten (pizza.de, Foodora, Lieferheld) an den niederländischen Konkurrenten JustEatTakeaway (Lieferando) verkauft – und könnte daher der erste DAX-Konzern ohne Deutschlandgeschäft (!) werden, falls das Unternehmen demnächst die erste Pleitefirma im DAX Wirecard ersetzt. Auch in anderen Märkten ist die Konsolidierung bei Essenslieferdiensten in vollem Gang: JustEatTakeaway hat sich unlängst den US-Anbieter Grub geschnappt, den auch Uber gerne haben wollte und an dem auch Delivery Hero interessiert war. In Südkorea kam dagegen Delivey Hero zum Zug und hat sich die Nummer 2 im Markt geschnappt.
Mobilitätsplattformen: Großes Durcheinander und starker Druck durch Virus-Pandemie
Bei den Mobilitätsplattformen hat der gewöhnliche Beobachter dagegen längst den Überblick verloren. Klar, FlixBus ist immer noch die unbestrittene Nummer 1 bei Fernbussen (was aber auch nur seiner aggressiven Expansions- und Akquisitionsstrategie zu verdanken ist), aber aus den Carsharing-Diensten von BMW (DriveNow) und Daimler (car2go) wurde inzwischen ShareNow, das wiederum unter der übergeordneten Marke YourNow auch Taxidienste (MyTaxi), Lösungen für Parkprobleme, Ladestationen für E-Autos und weitere, eher vage Mobilitätsservices vereint.
Und um die E-Roller-Anbieter ist es nicht nur wegen der Corona-Krise ziemlich ruhig geworden. Aber die Konsolidierung, die zuvor schon in vollem Gang war, geht unterdessen weiter – wenn auch nicht durch „innovative“ Übernahmen (die letzte gab es im Januar, also noch vor Corona, als der US-Pionier Jump die deutsche Circ übernahm), sondern durch althergebrachtes Schrumpfen des Geschäfts: Die Branche ist seit Monaten durch Entlassungen bzw. Kurzarbeit gekennzeichnet und auf neue Investorengelder oder Notfinanzierungen angewiesen, um die Verluste auszugleichen, die (auch krisenbedingt) immer größer werden.
Sogar die FlixBus-Muttergesellschaft nahm schon einen KfW-Kredit aus dem deutschen Corona-Rettungsprogramm in Anspruch und schließt selbst Staatshilfe nicht mehr aus. Man beachte die Ironie der Geschichte: Ein Unternehmen, dass sich durch aggressive Expansion zum Quasi-Monopolisten aufgeschwungen hat (und dabei unter anderem auch den Fernbusanbieter der Deutschen Bahn – also eines Staatsunternehmens! – aus dem Markt gedrängt hat) und daher im Fadenkreuz der (staatlichen!) Kartellwächter steht, will womöglich durch den Staat gerettet werden…
Konzernaufspaltung, die ultimative Gefahr
Während also in etlichen Märkten der Kampf um die Vormachtstellung noch heftig tobt, haben die Big 4 der US-Tech-Szene ihre Dominanz schon seit Jahren gesichert. Und genau diese Dominanz ist inzwischen nicht mehr nur Kritikern und einigen Ökonomen, sondern auch den Kartellbehörden und Politikern ein Dorn im Auge.
Aber auch jeder Nutzer weiß längst, dass man den Angeboten dieser Giganten kaum ausweichen kann – wenn überhaupt, geht das nur mit hohem Aufwand. Wie kritisch das jede(r) Einzelne sieht, und ob man das schulterzuckend oder resignierend in Kauf nimmt, ist eine andere Frage. Aber je mehr solchen Diensten man sich und seine Daten ausliefert, desto größer könnte das allgemeine Unbehagen werden. Und damit auch der politische Druck, dagegen wirksam vorzugehen.
Ob es so kommt, ist derzeit noch offen – aber eben eine wichtige Frage auch für Anleger. Falls die US-Politik nach der Anhörung in dieser Woche dieses Thema weiter oder sogar verstärkt verfolgt, könnte sie irgendwann auch konkrete Maßnahmen gegen die Big 4 verhängen. Das geht bis zu Überlegungen über deren zwangsweise Zerschlagung, nach dem Vorbild der Aufspaltung des US-Telefonriesen AT&T in den 1980er Jahren.
Ist der Umsatz groß genug, gibt es irgendwann Gewinne?!
Für etliche Unternehmen und deren Investoren wäre ein hartes politisches Vorgehen gegen Plattformmodelle ein herber Schlag. Damit würden viele Geschäftsmodelle in den sogenannten „The Winner takes all“-Märkten hinfällig, in die derzeit noch enorme Summen gepumpt werden. Diese Märkte versprechen ein enormes Umsatzpotenzial, weil die Obergrenze theoretisch nur die Welt(-bevölkerung) ist – schließlich ist für den letztlich dominanten Anbieter jeder Mensch ein potenzieller Kunde!
Obwohl die meisten Unternehmen noch viel Geld für Marketing und Expansion verbrennen und daher meist horrende Verluste schreiben, müssen sie sich um neue Finanzierungen nicht sorgen. Ihre Investoren glauben fest daran, dass Geschäfte mit derart hohen Umsätzen irgendwann auch profitabel sein werden. Und alle hoffen natürlich, dass „ihr“ Unternehmen genau der Gewinner sein wird, der am Ende alles kriegt. Denn erst dann bringen die jetzigen Investitionen die angestrebten gigantischen Gewinne.
Dieses Kalkül wäre natürlich hinfällig, wenn die Behörden Ernst machen und die Macht solcher weltumspannenden Plattformkonzerne, wie Google, Amazon, Apple und Facebook, wirksam begrenzen oder sie gar in Einzelteile spalten. Daher dürften die Investoren die Anhörungen am Mittwoch dieser Woche aufmerksam verfolgen. Und die Verluste der Vorwoche könnten einfach daher rühren, dass erste Anleger angesichts dieser Unsicherheit ihre Gewinne sichern und das Ergebnis vom Mittwoch gar nicht erst abwarten wollten.
Meist gibt sich die Politik mit Geld zufrieden
Aber womöglich ist diese Vorsicht unnötig. Bisher haben ähnliche Anhörungen, bei denen die Konzernbosse von den Politikern „gegrillt“ werden, wenig gebracht. Weder in den USA noch in Europa hatten Microsoft, Google oder Facebook (die zum Teil schon mehrfach im Fokus der Behörden standen) mehr zu fürchten als eine saftige Geldstrafe. Auch wenn diese im Einzelfall etliche Milliarden Dollar oder Euro betrug – das hoch lukrative, monopolartige Geschäft spielte das Geld schnell wieder ein und ließ diese vermeintlich hohe Strafe im Nachhinein wie die berühmten „Peanuts“ erscheinen.
Solange es also „nur“ ums Geld geht, sind solche Vorgänge für das Unternehmen und die Anleger zwar ärgerlich, aber zu verschmerzen. Aber selbst Maßnahmen, die langfristig darüber hinausgehen, müssen nicht unbedingt eine bittere Pille für die Anleger werden.
So wurde gegen Microsoft von 1998 bis 2000 ein ähnliches Antitrust-Verfahren geführt, das ebenfalls mit einem Aufspaltungsurteil endete. Dieses wurde aber letztlich doch wieder aufgehoben. Dem Verlauf der Microsoft-Aktie in dieser heißen Zeit der Technologieblase hat das bekanntlich nicht geschadet. Und auch die AT&T-Aktie bewegte sich während des Kartellverfahrens gegen das Unternehmen bzw. bis zur endgültigen Aufspaltung zumindest marktkonform.
Phönixe aus der Asche
Und nach der Aufspaltung wurde AT&T in der Rally, die in den 1980er Jahren startete, zu einem Überflieger an der Börse und gehörte beim Erreichen seines Allzeithochs 1999 zu den stärksten Aktien an der US-Börse in diesem Zeitraum. Von den Ausgliederungen der AT&T, die später ebenfalls an die Börse gingen, erwies sich Lucent Technologies (die aus den legendären Bell Laboratories entstanden) nach seinem Börsenstart 1996 ebenfalls als eine sehr lukrativen Aktie für Anleger – die es damals sogar gut und gerne mit Microsoft aufnehmen konnte (siehe folgende Charts).
(Quelle: MarketMaker)
Der Showdown der 4 Big Techs am Mittwoch mag viele Dimensionen haben, aber zwangsläufig negativ muss er für die Anleger also nicht sein. Im Gegenteil: Egal, wie die Angelegenheit (vermutlich erst in einigen Jahren) ausgeht – in jedem Fall werden sich auch dann bei diesen Unternehmen neue Chancen für Anleger ergeben.
Wer also in der Vorwoche vorsichtshalber ausgestiegen ist, könnte das schon bald bereuen. Schließlich deutete der NASDAQ 100 am Freitag schon wieder eine mögliche Umkehr nach oben an.
Quartalsergebnisse sind wichtiger als die Anhörung
Aber womöglich war der Grund für die Verkäufe auch ein anderer: Die genannten vier Unternehmen werden in dieser Woche auch ihre Quartalszahlen vorlegen (zusammen mit etlichen anderen). Und trotz der zum Teil weit übertroffenen Analystenerwartungen in der laufenden Quartalsberichtssaison dominierten bei vielen Aktien, die zuletzt hochgejubelt wurden, danach Gewinnmitnahmen (z.B. bei Tesla; siehe Börse-Intern vom Freitag). Vielleicht haben also einige Investoren ihre Schäfchen schon ins Trockne gebracht, bevor die Big 4 in dieser Woche derart im Rampenlicht stehen.
Aber auch andere Ereignisse erfordern in dieser Woche die Aufmerksamkeit der Börsianer: Die Republikaner im US-Senat werden voraussichtlich ihre Vorschläge zur Ankurbelung der Wirtschaft vorstellen, nachdem das zusätzliche Arbeitslosengeld während der Corona-Krise nun ausgelaufen ist.
Und dann ist da noch die Fed…
Das FOMC-Treffen der US-Notenbank vom 28. bis 29. Juli könnte ebenfalls Auswirkungen auf die Märkte haben. Konkrete Zinsentscheidungen werden zwar nicht erwartet, aber die Fed-Offiziellen haben diesmal eine umfangreichere Tagesordnung als sonst. So werden sie darüber debattieren, welche Form der Wirtschaftsförderung ab Herbst angemessen ist, ob sich die Zusammensetzung der Käufe von Schatzanweisungen und Hypothekenanleihen wie nach der Finanzkrise von 2008 auf Wertpapiere mit längerer Laufzeit verlagern sollte und wie lange die Zinssätze bei nahe Null bleiben sollen.
Zur Diskussion steht auch die Frage, ob die Fed offiziell zumindest zeitweise von ihrem „magischen“ Inflationsziel von 2% abrücken sollte. Nicht nur unter Ökonomen, sondern auch unter den Fed-Mitgliedern selbst gibt es dafür eine gewisse Unterstützung. Allerdings waren die Notenbanken seit der Finanzkrise wenig erfolgreich darin, die Inflation durch Zinssenkungen und Gelddrucken nach oben zu treiben. Insofern bliebe abzuwarten, welche Folgen ein Abrücken von dieser Zielmarke am Ende tatsächlich hätte.
Aber keine Frage: Spannender als solche akademischen Diskussionen dürfte in nächster Zeit allemal die weitere Entwicklung des NASDAQ 100 sein – also wie es mit der Übertreibung bei den Tech-Werten weitergeht. Und die Big 4 – die auch an der Börse das höchste Gewicht haben – dürften daher nach dem Showdown in dieser Woche an dieser Entwicklung so oder so den größten Anteil haben.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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