Donnerstag, 5. Juni 2008
Der Unternehmer "U" in der Zwickmühle
von Jochen Steffens
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet warnte heute Mittag aufgrund der hohen Öl- und Lebensmittelpreise vor einem rasanten Anstieg der Inflation! Der Markt reagierte darauf höchst nervös. Der Dax-Future brach im Zusammenhang mit diesen Äußerungen mal eben um satte 80 Punkte ein:
Die amerikanischen Indizes reagierten auf diese Äußerungen hingegen nicht. Somit war klar, dass es sich bei diesem Einbruch um ein „europäisches Problem“ handelte. Denn tatsächlich kann man die Äußerungen Trichets in Richtung weiterer Zinserhöhungen interpretieren. Und nichts hassen die Anleger mehr als die Gefahr steigender Zinsen.
Dabei sind die Aussagen Trichets nicht verwunderlich. Was soll man denn auch erwarten, wenn die Löhne steigen, die Rohstoffpreise anziehen und jetzt auch noch der Ölpreis explodiert? Wir geraten in eine Phase der Inflation, keine Frage.
Aber ist es wirklich so klug, in so einer Phase die Zinsen zu erhöhen?
Dazu bemühen wir den Unternehmer "U". Sein Unternehmen gehört zum produzierenden Gewerbe:
Zinserhöhungen wirken sich belastend auf "U" aus, da er sich zum Beispiel keine billigen Kredite mehr besorgen kann. Geld, das er investieren könnte. Investitionen werden somit teurer.
Auf der anderen Seite steigen die Löhne. Auch hier muss "U" mehr Geld aufbringen, um diese Mehrkosten zu finanzieren.
Dann hat "U" noch das Problem, dass sich die Rohstoffe, die Grundlage seiner Produkte sind, auch noch erheblich verteuern.
Und nicht zuletzt, jede Produktion kostet Energie: Durch die massiv gestiegenen Energiekosten wird die Produktion für ihn ebenfalls teurer.
Das sind die direkten Kostensteigerungen, denen „U“ zurzeit unterworfen ist. Daneben gibt es eine Vielzahl von weiteren Kosten, zum Beispiel werden die Zuliefererunternehmen höhere Preise verlangen, die Transportunternehmen werden teurer, etc.
Normalerweise müsste "U"also die Preise seiner Produkte erhöhen. Das wird er auch versuchen. Es wird jedoch schwer sein, das in dem Maße zu tun, in dem seine Kosten ansteigen.
Seine Gewinnmargen schrumpfen also.
Zwei Teufelskreise der Inflation
Durch eine Inflation entstehen einige, sich selbst verstärkende Prozesse. Diese sind es, welche die Inflation so gefährlich machen. Für "U" sind im Moment zwei dieser Teufelskreise relevant.
1. Teufelskreis
Dadurch, dass die Preise allerorts ansteigen, werden die Mitarbeiter irgendwann auch höhere Löhne fordern, eben weil alles teurer wird. Höhere Löhne kann er aber nur durch höhere Preise kompensieren. Eine Lohn- und Preisspirale entsteht.
2. Teufelskreis
Er wird alles tun, um die Kosten zu minimieren. Die Lohnkosten sind da oft der erste Hebel, den ein Unternehmen nutzt. Da die Löhne nicht sinken können, wird es zu Entlassungen kommen.
Das ist aber eigentlich unklug von "U". Denn je mehr Menschen ihre Arbeit verlieren, desto weniger Konsumenten können die Produkte der Unternehmen erwerben. Mit anderen Worten der Konkurrenzkampf unter den Unternehmen nimmt zu. Dieser wird über die Preise ausgetragen, was zur Folge hat, dass die Unternehmen die steigenden Preise nicht mehr auf ihre Produkte aufschlagen können.
Dadurch wird wiederum Teufelskreis 1 noch mehr angefeuert.
Die Gefahr der Zinserhöhungen
Wenn man also in so einem Umfeld die Zinsen zu sehr anhebt, nimmt man "U" auch noch eine letzte Möglichkeit, auf die Preissteigerungen zu reagieren: Investitionen.
"U" sitzt da und überlegt als verantwortungsbewusster Unternehmer, wie er seine Preisstruktur senken kann, ohne zu viele Arbeitnehmer zu entlassen. Er kommt auf die grandiose Idee, sich von den Energiepreisen unabhängiger zu machen. Zudem könnte er seinen Produktionsablauf modernisieren, so dass er weniger Rohstoffe für die Produktion braucht. Doch für beides braucht er Geld – viel Geld. Das geht nur mit billigen Krediten. Wenn die Zinsen ansteigen, ist dem ein Riegel vorgeschoben.
Er muss aber schnell handeln
Hinzu kommt, je länger "U"zögert, desto mehr brechen seine Gewinne ein, weil die steigenden Kosten letzten Endes seine Gewinnmargen belasten. Je weniger Gewinn er macht, desto handlungsunfähiger wird er, desto schwieriger wird es, notwendige Investitionen zu tätigen. Eine weitere Spirale, die zum Konkurs führen kann.
Das sind im Groben einige der Gefahren einer durch Rohstoffpreise getriebenen Inflation. Wir hatten so eine Situation schon einmal während der Ölkrisen der 70er Jahre. Damals hatten die Notenbanken mit steigenden Zinsen reagiert. Es galt die alte Weisheit: Steigende Inflation muss man mit steigenden Zinsen bekämpfen – da wurde nicht lange gefackelt. So kam, was kommen musste. Als die Unternehmen sich auch noch neben dem massiv steigenden Ölpreis mit steigenden Zinsen konfrontiert sahen, gleichzeitig auch noch die Löhne anzogen, gingen immer mehr Unternehmen pleite. Die Wirtschaft rutschte in eine tiefe Rezession.
Heute haben die Notenbanker natürlich alle die Erfahrungen aus den 70ern studiert und wissen, dass man das nicht tun sollte (hoffe ich jedenfalls).
Und damit zum Schluss wieder zu Trichet:
Er warnt vor starken Inflationsgefahren, wahrscheinlich wird er die Zinsen vielleicht auch noch etwas anheben, da sich die Wirtschaft vor allem noch in Deutschland noch einigermaßen stabil zeigt (in der restlichen EU zeigen sich schon erste Schwächezeichen, hier wären weitere Zinserhöhungen Gift). Darauf haben die Anleger heute reagiert. Aber mehr sollte nicht passieren!
In der EZB herrscht unterdessen wahrscheinlich genau aus oben genannten Gründen Uneinigkeit, ob es überhaupt zu weiteren Zinserhöhungen kommen soll. Einige Mitglieder haben sich dafür ausgesprochen, andere dagegen.
Zu große Zinsschritte wird es jedoch nicht geben. Die Folgen davon wären dramatisch. Europa würde in eine tiefe Depression rutschen, die uns lange Jahre begleiten würde. Das möchte keiner erleben. Ich hoffe, hier haben alle aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt. Andererseits geht's hier um Menschen.....
Viele Grüße
Ihr
Jochen Steffens
US-Wirtschaftsdaten
Um 14.30 Uhr wurden die Arbeitsmarktdaten veröffentlicht:
Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe ist um 18.000 auf 357.000 gefallen. Analysten hatten dagegen mit einem Anstieg um 2.000 gerechnet, nach einem Anstieg um 7.000 zuvor. Auch der Vierwochendurchschnitt sinkt damit weiter. Insgesamt sieht die Entwicklung der letzten Monate ein wenig danach aus, als ob hier das Schlimmste erst einmal vorbei sei.