Der Hang zur Symmetrie
von Jochen Steffens
Heute möchte ich das, was ich gestern im Steffens Daily geschrieben habe, an einem aktuellen Beispiel weiter verdeutlichen.
Kursverläufe verhalten sich gerne symmetrisch zu vorherigen Kursentwicklungen. Warum das so ist? Ehrlich, dafür habe ich keine plausible Erklärung. Ich vermute, dass es etwas damit zu tun hat, dass bestimmte Marken im Kursverlauf einfach eine höhere Wichtigkeit haben und es an diesen immer wieder zu Konsolidierungen kommt, sowohl bei Abwärts-, als auch bei Aufwärtsbewegungen.
Doch das Wissen, dass die Kurse einen gewissen Hang haben, symmetrisch zu verlaufen, kann helfen, Hinweise über die weitere Entwicklung zu erhalten.
In diesem Chart sehen Sie den DAX-Stundenchart. Wir haben vom Hoch bei 6.387 Punkten eine längere Abwärtsbewegung gesehen. Der Hang zur Symmetrie von Kursbewegungen spricht nun dafür, dass eine Aufwärtsbewegung in etwa die vorherige Abwärtsbewegung spiegelt. Die Spiegelachse entspricht der senkrechten grünen Linie. Diese daraus entstehende Spiegelung ist hier mit der roten Prognoselinie fortgeführt.
Um die Symmetrie zu erfüllen, hätte der DAX demnach ohne größere Unterbrechung bis zur 6.228er Marke laufen müssen. Das hat er nicht getan. Das grüne Rechteck zeigt die fehlende Spanne an.
Wenn die Symmetrie verloren geht
Und genau das verrät uns etwas über die Situation des Marktes. Dass der DAX diese Widerstandslinie nicht angelaufen hat, muss als ein Zeichen der Schwäche gesehen werden. Den Bullen ist einfach zu früh die Luft ausgegangen. Hätten die Bullen es geschafft, die Kurse an diese Widerstandslinie zu treiben, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sich der DAX weiter symmetrisch entwickelt, vergleichsweise groß gewesen.
Wie geht man nun mit diesem kleinen Schwächesignal um?
Wäre man nun long im DAX, müsste man jetzt vorsichtig werden. Im Prinzip sinkt durch diese Schwäche lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass die 6.387er Marke erreicht wird und zwar nur leicht. Ebenfalls sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Marke überwunden wird. Nur diese fehlenden 60 Punkte haben bereits einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Aufwärtstrend fortgesetzt wird.
Auf der anderen Seite steigt somit die Wahrscheinlichkeit, dass wir nun entweder einen Dynamikverlust erleiden (obere schwarze Prognoselinie) oder der DAX in der Nähe der 6.228 Punkte Marke scheitert (untere schwarze Prognosellinie).
Intermarket-Analyse
Wenn ein Kursverlauf aus der Symmetrie austritt, ist es allerdings nur ein Hinweis, mehr nicht. Keinesfalls wäre allein die Beobachtung der Symmetrie geeignet, eine Tradingmethode zu entwickeln. Dazu sind die Veränderungen in der Wahrscheinlichkeit zu minimal. Um zu zeigen, wie schnell dieser kleine Hinweis hinfällig ist, nehmen wir ein weiteres Prognosemittel hinzu: die Intermarket-Analyse. Und hier fällt sofort der Euro-Stoxx auf. Hier als Future:
Interessanterweise sieht hier das Bild genau anders aus. Hier hat der Euro-Stoxx-Future zunächst die entsprechende 2.751er Marke nach oben überwunden, bevor er in die Konsolidierung überging. Das wäre ein Hinweis der Stärke. Die Bullen sind so euphorisch, dass dieser Widerstand sie zunächst nicht aufhalten konnte.
Diese Stärke spricht eigentlich dafür, dass das Hoch bei 2.848 Punkten angelaufen wird und erhöht die Wahrscheinlichkeit (leicht), dass es auch überwunden wird. Es ergibt sich somit ein ganz anderes Bild als im DAX.
Kompensation
In diesem Fall heben sich diese beiden Analysen tatsächlich auf. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass sich der Euro-Stoxx-Future großartig anders verhalten wird, als der DAX. Mit anderen Worten, die Schwäche in der DAX-Analyse wird durch die Stärke in der Euro-Stoxx-Analyse kompensiert. Es gibt somit keine Tendenz mehr, alles ist offen.
Gleichschaltung
Anders hätte es ausgesehen, wenn man diese Schwäche im DAX auch im Euro-Stoxx und in etwas anderer Form ebenfalls bei den US-Indizes erkannt hätte. Mit jedem weiteren Hinweis auf Schwäche in einem weiteren Chart würde die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Schwächesignal auch durchsetzt, immer weiter ansteigen. Würden dann noch fundamentale oder andere Prognosemittel ebenfalls auf eine Schwächephase hinweisen, würde dies ausreichen, um die oben genannten Long-Positionen zu verkaufen oder sogar etwas später eine Short-Position ins Depot zu nehmen.
Die Verbesserung der Wahrscheinlichkeit
Das ist das, was ich gestern meinte: Erst eine Vielzahl von Prognosemitteln, die alle in die gleiche Richtung gehen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit in einem Maße, dass es möglich ist, damit erfolgreich zu traden. Und selbst dann verändert sich die Wahrscheinlichkeit lediglich um wenige Prozentpunkte. Mehr ist es leider nicht.
Doch das reicht bereits aus, um beim Traden - zumindest wenn man konsequent damit arbeitet - erfolgreich zu sein.
Ein Prognosemittel allein reicht, wie man an diesem Beispiel oben sieht, hingegen nicht aus, erfolgreich zu traden. Das gilt natürlich besonders dann, wenn es so schwach ist, wie der „Hang zur Symmetrie“. Hier reichte bereits ein weiterer Chart, um diesen Hinweis aufzulösen.
Bei stärkeren Prognosemitteln, wie einer ausführlichen Chartanalyse, der Fundamentalanalyse oder der Analyse von Konjunkturdaten bedarf es schon etwas mehr, um prognostizierte Tendenzen durch andere Analysen zu kompensieren.
Viele Grüße
Jochen Steffens