Es gibt so Tage, da geht alles schief. Eine neue, „bessere“ Sicherheitssoftware hat unsere Computer lahmgelegt. Die Wiederherstellungsprozedur dauerte schließlich länger als erwartet. Leider blieb keine Zeit für die Börse, darum gebe ich direkt an meinen Kollegen Torsten Ewert weiter.
Viele Grüße
Jochen Steffens
Wann würden Warren Buffett & Co. kaufen?
von Torsten Ewert
Verehrte Leserinnen und Leser,
die ersten Schlagzeilen ließen es wie einen „ungewöhnlichen Vorgang“ erscheinen (in der Sprache der Diplomatie ist das eine Umschreibung für „völlig daneben“): Warren Buffett, erklärter Sympathisant von Barrack Obama, verkündete in einem Interview am Freitag, dass er nicht (mehr) gegen den Dollar spekuliert, dass er staatliche Rettungsaktionen für die angeschlagenen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac erwartet und überhaupt Aktien derzeit deutlich besser bewertet sind als noch vor einem Jahr.
Das Orakel bleibt sich treu
Was zuerst wie eine Steilvorlage für die republikanische Noch-Regierung nach genialem Drehbuch von Ben Bernanke oder Henry Paulson aussah, relativierte sich schnell in der näheren Betrachtung.
Das Interview, das scheinbar so günstig zum vorläufigen Stimmungstief der Wirtschaft erschien und auch prompt die Märkte beflügelte, war eigentlich auf den Start des Dokumentarfilm „I.O.U.S.A.“ abgestimmt. Das ist ein sozial-kritischer Film à la Michael Moore oder Al Gore über das exzessive Schuldenmachen in den USA (speziell auch durch die amtierende Bush-Administration).
Buffett sprach daher auch davon, dass die USA bereits in einer Rezession stecken, die auf jeden Fall bis 2009 anhalten wird, und bekräftigte seine Kritik an dem Finanzgebaren der Wall Street. Ebenso erneute er seine Unterstützung für Obama, den er bereits „Präsident“ nannte.
Hinsichtlich seiner Investments blieb er wie immer ziemlich unbestimmt, bestätigte bloß, dass seine Holding Berkshire Hathaway im zweiten Quartal knapp 4 Milliarden US-Dollar in Aktienkäufe investiert und auch den schon recht bedeutenden Anteil an den Finanzunternehmen American Express bzw. Wells Fargo weiter erhöht hat (in welche er nun wirklich investierte, sagte er dann aber doch nicht ...).
Zwischen Verkaufen und Kaufen
Das Interview mit Buffett ist aber aus einem ganz anderen Blickwinkel interessant. Zeigt es doch, dass selbst in einer scheinbar so aussichtslosen Marktlage wie derzeit für mutige und informierte Investoren bereits wieder die ersten Chancen auftauchen. Mit fallenden Aktienkursen sinken nämlich die Bewertungen der Unternehmen.
Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Die aktuelle Bewertung ergibt sich ja aus den für die Zukunft veranschlagten Gewinn- und Cashflow-Prognosen im Verhältnis zum aktuellen Kurs. Je höher die Prognose, desto attraktiver die scheinbare Bewertung bei sinkenden Aktienkursen.
Ein Problem entsteht jedoch, wenn sich dann auch die Prognose ändert – und zwar nach unten. Denn dann sinkt auch gleichzeitig wieder die Bewertung, und das vermeintliche Schnäppchen erweist sich als teuer erkauft.
Das immerwährende Bewertungsproblem
Dieses Problem tritt immer wieder auf, denn – wie schon Mark Twain so treffend formulierte – „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Deshalb konzentrieren sich Leute wie Warren Buffett eben auf Unternehmen, die sie verstehen und die, Zitat Warren Buffett: „... auch ein Trottel leiten könnte, denn eines Tages wird genau das passieren.“
Die armen Wall-Street-Analysten können sich diesen Luxus allerdings nicht leisten, denn von ihnen wird erwartet, dass sie Gewinnschätzungen für jedes der im S&P 500 vertretenen Unternehmen abgeben. Das Dilemma wird meist dadurch gelöst, dass die bekannten, historischen Gewinne mit mehr oder weniger vernünftigen Auf- oder Abschlägen in die Zukunft fortgeschrieben werden.
Was dabei herauskommt, können Sie in folgender Grafik sehen.
In den letzten 30 Jahren sind die Kurse und damit auch die Bewertungen zwar unter starken Schwankungen (blaue Kurve), aber per Saldo doch recht stetig gestiegen (schwarze Kurve). Trotzdem liegt der Mittelwert immer noch deutlich unter 20 (grüne Linie).
Die Crux mit dem Mittelwert
Interessant sind nun die roten und gelben Punkte im Diagramm. Rot eingetragen sind die Schätzungen der Analysten für 2008 und 2009. Danach lägen die entsprechenden KGVs für den amerikanischen Markt bei 16 für 2008 bzw. sogar nur 12 für 2009, das heißt auf historisch günstigem Niveau. Also kaufen, was das Zeug hält?
Hm, schauen wir uns erst die gelben Punkte an. Das sind die entsprechenden Werte auf Basis der bisher tatsächlich gemeldeten Gewinne der Unternehmen. Diese liegen bei ambitionierten 20 für beide Jahre. Die Analysten tendieren also offensichtlich dazu, die Entwicklung in Richtung des langjährigen Mittelwertes fortzuschreiben.
Die Erfahrung zeigt aber, dass in beide Richtungen ziemlich extreme Übertreibungen möglich sind, bevor die Werte wieder zum Mittelwert zurückkehren.
Sportliche Schätzungen auch für den DAX
Nun gelten die Amerikaner ja als chronisch optimistisch. Den Deutschen dagegen wird eher das Gegenteil nachgesagt. Offenbar scheint das aber nicht für Analysten zu gelten. Für 2008 rechnen die Kollegen noch mit stolzen 9 % Gewinnsteigerung der DAX-Konzerne, für 2009 reichen die Schätzungen sogar bis zu 20 %!
Warren Buffett versucht nach eigenem Bekunden eher „ungefähr richtig als komplett falsch“ zu liegen. Wenn er also für die nächsten fünf Monate für die US-Wirtschaft keine deutliche Verbesserung kommen sieht, stehen die Chancen gut, dass die genannten Analystenschätzungen demnächst nur noch Makulatur sind. Sprich, es könnte zu kräftigen Anpassungen nach unten kommen.
Das würde auch zu entsprechenden Kurskorrekturen an den Börsen führen. Damit bestätigt sich auch von dieser Seite die charttechnische Einschätzung, die ich Ihnen in der letzten Woche an diese Stelle vorstellte.
Kein Fall ins Bodenlose
Diese mögliche nächste Verkaufswelle hat dann tatsächlich das Zeug zum vorläufigen Tief. Denn erstens folgen (leider) auch die Analysten dem Trend und passen ihre (Ein-)Schätzungen erst am Tief wirklich nach unten an, und zweitens deuten Buffetts eingangs erwähnte Äußerungen daraufhin, dass Leute wie er dann in den Kaufmodus umschalten.
Das verhindert dann den Fall ins Bodenlose.
Erste Übernahmeziele im Visier
Aber ist dabei nicht nur der Wunsch Vater des Gedankens? Nein, denn momentan können wir schon erste Anzeichen dafür entdecken. Die Schaeffler-Gruppe hat schon seit einigen Wochen die Continental AG ins Visier genommen.
Darüber hinaus hat der Kursverfall der letzten Monate z.B. auch den Daimler-Kurs so gedrückt, dass Vorstandschef Zetsche sich ebenfalls ernsthaft Gedanken machen muss, wie eine mögliche Übernahme zu verhindern wäre. Der einstige Stolze teutonischer (Börsen-)Größe wird an der Börse gerade einmal mit 40 Milliarden Euro bewertet, das wäre selbst unter den momentanen Bedingungen für den einen oder anderen kein unbezahlbarer Preis, zumal ja für eine Kontrolle ein deutlich geringer Anteil ausreichen würde – siehe Conti.
Weltweit gibt es noch genug prall gefüllte Taschen
Ob in Asien, Russland oder dem Mittleren Osten – dort (aber auch anderswo) gibt es selbst jetzt noch genug Liquidität, die sich nur zu gerne den einen oder anderen Brocken vom Kurszettel westlicher Börsen picken würde. Selbst die doch maroden US-Bankinstitute ziehen im Zweifelsfall immer noch genug Geld aus diesen Töpfen, die in Saudi-Arabien, Singapur oder Korea stehen mögen.
Für fundamental orientierte Anleger könnten sich also in den nächsten Wochen oder Monaten einige interessante Gelegenheiten ergeben. Sie sollten schon mal Ihre Instinkte schärfen. Zudem würde ein Engagement vor dem Jahresende in langfristiger Perspektive auch steuerliche Vorteile bieten – die Abgeltungssteuer lässt grüßen! In jedem Fall wären Sie dann mit Warren Buffet in bester Gesellschaft.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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