Nachrichten beeinflussen Nachrichten
von Jochen Steffens
Der Nasdaq100 will sich nicht so recht entscheiden:
Selbst das symmetrische Dreieck ist im Prinzip noch nicht ganz hinfällig (rote / blaue Linie). Wichtiger wird nun jedoch zunehmend das mögliche aufsteigende Dreieck (blaue Linien), das ich gestern bereits vorgestellt hatte. Wenn der Nasdaq100 jetzt die 1286er Marke nach oben nachhaltig überwinden kann, wäre demnach die 1550er Marke Kursziel. Zuvor wartet allerdings noch bei der 1400er Marke ein alter, aber wichtiger Widerstand.
Schlimmer ist eigentlich, dass wir uns nun schon seit Mitte / Ende November mehr oder weniger in einer sehr engen Seitwärtsbewegung befinden. Ein Kollege, der die US-Märkte ausschließlich charttechnisch analysiert, meinte gestern zu mir: Ich weiß so langsam nicht mehr, was ich zu dem Markt noch schreiben soll. Eigentlich sollte man Urlaub machen und abwarten bis etwas wirklich Entscheidendes passiert. Das Problem ist nur, dass das jeden Tag geschehen kann.
Ich habe es da etwas besser. Ich könnte zum Beispiel über das größte Konjunkturpaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 50 Mrd. Euro schreiben, das gerade vom Bundestag beschlossen wurde, aber dazu ist eigentlich alles gesagt. Also komme ich auf Mails von Ihnen zu sprechen:
Es gibt sie doch noch, die Bullen
Zunächst einmal vielen Dank an die Bullen unter Ihnen, die mir in ihren Mails versicherten, dass sie noch existieren. Es freut mich zu hören, dass diese Spezies doch noch nicht ganz ausgestorben ist. Ich bezog die gestrige Aussage aber, nur um das noch einmal deutlich zu machen, eher auf meinen Kollegenkreis.
Dann erhielt ich noch andere Mails. In diesen wiesen mich Leser freundlich darauf hin, dass ich den Ernst der Lage noch nicht so recht erkannt habe. Es wäre alles noch viel schlimmer, als es der Öffentlichkeit bekannt sei. Es gäbe keine Hoffnung mehr, das Finanzsystem sei am Ende. Es sei nicht die Frage ob, sondern nur wann das System zusammenbricht. Diesmal sei also tatsächlich alles anders.
Geithner will außergewöhnliche Maßnahmen
Auch bei diesen Mails erkenne ich ein kleines Missverständnis. Ich für meinen Teil denke schon, dass ich den Ernst der aktuellen Situation erkenne. Dazu braucht man sich zum Beispiel nur die neueste Nachricht von Timothy Geithner anzusehen. Er will nämlich bei dem Treffen der G-7 in Rom die Finanzminister der anderen Länder zu „außergewöhnlichen Maßnahmen“ im Kampf gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise aufrufen. Es seien „starke Aktionen“ und sich ergänzende Maßnahmen notwendig. Ich glaube, das sagt alles.
Ich bin in diesem Zusammenhang gespannt, ob die anderen Finanzminister mitziehen und was für Maßnahmen es schlussendlich werden. Grundsätzlich ist es richtig: Die Krise ist eine globale Krise und muss meines Erachtens auch „global“ gelöst werden.
Mir ging es im gestrigen Text also weniger darum, die Welt schön zu reden, als vielmehr, sich darüber im Klaren zu sein, dass jede Krise, sei sie noch so schlimm, immer auch Chancen bietet.
Nachrichten werden zu Nachrichten
Und wir wissen schließlich zurzeit hauptsächlich aus den Nachrichten, wie schlecht es um die Weltwirtschaft steht. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, sich einmal bewusst zu machen, wie eigentlich viele Nachrichten oder Kommentare entstehen. Dazu muss man auf die Arbeitsweise der meisten Journalisten und Redakteure zu sprechen kommen. Stellen Sie sich dazu einmal vor, sie müssten heute einen Artikel über das Börsengeschehen schreiben. Was würden Sie tun?
Genau, im Internet recherchieren. Natürlich dabei die Meldungen der Nachrichtenagenturen studieren, aber auch das lesen, was andere Journalisten schreiben. Jetzt braucht man sich nur mal die Mühe zu machen und zum Thema Börse und Wirtschaft im Internet die aktuellsten Nachrichten herauszusuchen.
Masse schlägt Vernunft
Egal wie optimistisch Sie auch gewesen sind, je länger sie auf den vielen Internetseiten Informationen sammeln, desto pessimistischer würden sie werden. Und genau das passiert eben auch vielen Redakteuren. Die schlechten Nachrichten führen demnach zu weiteren schlechten Nachrichten, die zu weiteren schlechten Nachrichten werden.
Ein kleines Beispiel
Nur wirklich wenigen Kommentatoren fällt zurzeit zum Beispiel auf, dass sich die Konjunkturdaten in den USA bereits seit geraumer Zeit auf niedrigem Niveau stabilisieren. Auch wenn das zurzeit nicht mehr als ein sehr kleiner Hoffnungsschimmer ist, es wird vollkommen wegselektiert. Und das ist bereits ein kleines Beispiel für diese selektive und sich selbsterhaltende Berichterstattung der Medien.
Der Umkehrschluss ist allerdings nicht zulässig: Das heißt aber natürlich nicht, dass alles, was sie zu lesen kriegen, falsch ist. Es heißt auch nicht, dass diese Krise nicht in einer Katastrophe enden kann. Es geht vielmehr um die Frage, wie die Tatsachen interpretiert werden. Und hier gibt es immer einen großen Spielraum. Nur so ist es schließlich zu erklären, dass es immer gleichzeitig Bullen und Bären gibt und nur deren Verteilung schwankt.
Eigene Überzeugungen hinterfragen
Als Spekulant muss es Ihnen also immer darum gehen, nicht nur die selektive Wahrnehmung und die Interpretation der Redakteure Ihrer Nachrichten zu hinterfragen, sondern sogar auch ihre eigenen Überzeugungen kritisch zu betrachten. Und das ist die eigentliche Aufgabe eines mittel- bis langfristig orientierten Börsianers: Er muss immer hinter die Dinge schauen, jede Fremdanalyse kritisch durchleuchten, sich ganz eigene Gedanken machen und schlussendlich gegen scheinbar jedwede Vernunft genau die Investitionen tätigen, für die ihn jeder andere für Verrückt erklären würde. Kein Wunder, dass das so wenigen Menschen gelingt. Der Mensch fühlt sich schließlich in der Masse am wohlsten.
Und wenn die Krise vorbei ist...
Es ist dann ein Leichtes sich vorzustellen, was passiert, wenn diese Krise tatsächlich irgendwann einmal vorbei sein sollte und die Kurse wieder steigen: Zunächst werden die meisten Analysten von einer kurzen Gegenbewegung sprechen, einem Aufbäumen in der Krise. Nach und nach werden dann die bullisheren Kommentatoren mutiger. Aber es wird Jahre dauern, bis die negative Berichterstattung aus den Köpfen der Anleger heraus ist. Meistens braucht es 2-5 Jahre. Schauen Sie dazu einfach auf die Entwicklung nach 2003. Einige der letzten großen Bären kippten ausgerechnet 2007...
Viele Grüße
Ihr
Jochen Steffens