Der Hubschrauber fliegt doch schon...
von Jochen Steffens
Aua. Gestern ist der DAX an der 4.000er-Marke abgeprallt und schon heute geht es massiv weiter abwärts. Sogar das Tief vom Dienstag wurde gebrochen. Damit ist das bearishe, der beiden Szenarien, die ich Ihnen am Dienstag vorgestellt hatte, für den DAX zumindest in Kraft.
Noch aber fehlt der nachhaltige Bruch im S&P 500. Aber dieser kann heute noch kommen. Die gestrige Kerze in den amerikanischen Indizes hatte mir schon nicht gefallen. Offensichtlich wurde im weiteren US-Handel dem Markt bewusst, wie schlecht die Konjunkturdaten waren, die gestern veröffentlicht wurden. Besonders der starke Einbruch des Auftragseingangs muss aufhorchen lassen. Auf Jahressicht ist der Auftragseingang um satte 26,4 % eingebrochen. Das ist im Prinzip mit einem Kollaps gleichzusetzen.
US-BIP bricht ein
Diese Zahl passte dann auch zu der Revision des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das vierte Quartal, die heute veröffentlicht wurde. Das BIP sank nämlich nicht, wie zunächst, geschätzt um „nur“ 3,8 %, sondern um satte 6,2 %. Das wiederum ist der stärkste Rückgang seit 1982 und macht deutlich, dass die US-Konjunktur im vierten Quartal tatsächlich eine Vollbremsung mit Rückwärtsgang hingelegt hat. Doch, es sind alte Zahlen! Und somit haben diese keine weitere Auswirkung auf die Märkte, so dramatisch sie auch aufgefallen sind.
Verfallstag im März
Ein wesentlich entscheidenderer Faktor wird der große Verfallstag am 20.März.09 sein. Ich vermute, dieser wird eine zentrale Bedeutung einnehmen. Es dürften extrem viele Short-Positionen im Markt liegen und ich frage mich, ob die Stillhalter diese wirklich alle bezahlen wollen. Ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen. Dann aber müssten die Kurse im Vorfeld des Verfallstages ansteigen. Die genaue Analyse dazu werde ich in der nächsten Woche erarbeiten und Ihnen natürlich hier vorstellen. Bis dahin komme ich, wie angekündigt, noch einmal auf das Thema Deflation/Inflation zurück:
Inflation / Deflation
Man muss sich, wenn man sich mit dem Thema Deflation oder Inflation beschäftigt, darüber bewusst sein, dass sich die USA schon mitten in einer massiven Deflation befinden, auch wenn das selten so dargestellt wird. Aber nur so kann man die aktuellen Maßnahmen der Regierung und der Fed besser verstehen.
Die Wissenschaft hat (im Nachhinein) Japan immer vorgeworfen, nach dem Immobilien- und Aktiencrash 1990 nicht schnell genug reagiert zu haben. Die Experten sind der Meinung, die japanische Regierung und die japanische Notenbank hätten das System schneller mit Geld fluten müssen. In diesem Fall wäre eine Deflation zu vermeiden gewesen.
Klare, schnelle und massive Reaktionen
Wenn wir uns nun anschauen, was die US-Regierung und die Notenbank machen und die aktuelle Situation in den USA mit der Lage damals in Japan vergleichen, wird deutlich, dass die USA offenbar den gleichen Fehler nicht noch einmal machen wollen. Hier wird gehandelt. Offenbar sind die Entscheider in den USA der Überzeugung, dass, wenn man dieser aktuellen Deflation nicht durch drastische Zinssenkungen beikommen kann, man eben das Geld aus dem Hubschrauber abwerfen muss. Und wenn man sich die gigantischen Konjunkturprogramme in den USA anschaut, dann ist dieser Hubschrauber, von dem so viele zu Amtsbeginn Ben Bernankes geschrieben haben, bereits in der Luft und beginnt gerade damit, Geld auf das amerikanische Volk niederregnen zu lassen.
Kurz: Die Zinsen sind auf Null, gleichzeitig werden gigantische Summen durch die US-Regierung ins System gepumpt. Das alles riecht verdächtig nach Deflationsbekämpfung. Es gibt da nur ein klitzekleines Problem:
Das unbedeutende Problem und ein großes Experiment
Bis jetzt ist es nur eine Theorie, dass ein schnelleres und massiveres Eingreifen in Japan die Deflation verhindert hätte! Soweit ich weiß, gibt es noch keinen historischen Beleg, dass das auch tatsächlich funktioniert. Wir stecken demnach mitten in einem großen makroökonomischen Experiment, und es geht um viel.
Die letzte Patrone im Lauf
Aber die Fed hat ja noch eine letzte, gewichtige Patrone in ihrem Lauf. Die Analysten, die eine starke Inflation erwarten, argumentieren zurzeit wie folgt: Die aktuellen Aktionen der USA werden zu einer ausufernden Inflation führen. Das wissen auch die Gläubigerstaaten. Aus diesem Grund werden sie nicht weiter brav US-Staatsanleihen kaufen, deren Wert durch eine Inflation erheblich beeinträchtigt wird. In diesem Fall gäbe es nur noch eine Lösung für die Fed:
Es wird ihr dann nichts anderes übrig bleiben, als schlussendlich diese Staatsanleihen selber zu kaufen. Damit wird dann sozusagen die Gelddruckmaschine auf Hochtouren gebracht, keine Frage. Zu Recht wird argumentiert: Wenn Staaten ihre Notenbanken auffordern, ihre eigene exzessive Geldpolitik über die Gelddruckmaschine abzudecken, besteht das hohe Risiko einer Hyperinflation. Und, kein Wunder, nach der Ankündigung der Fed, notfalls auch Staatsanleihen zu erwerben, rechnen viele Analysten eben mit dieser Hyperinflation.
Eine Frage der Sichtweise
Dabei ist es eine Frage der Sichtweise. Man kann diese Situation als Übel bezeichnen: „Der Fed wird nichts anderes übrig bleiben, es ist ihr letzter Ausweg!“ Das macht dann Sinn, wenn man die aktuellen Maßnahmen lediglich als Reaktion auf die Kreditkrise sieht. Wenn es jedoch um das Vermeiden einer nachhaltigen Deflation geht, dann ist das Aufkaufen der Staatsanleihen durch die Fed ein geschicktes Mittel, um eben eine solche zu verhindern. Ich wage den Zirkelschluss: Die Ankündigung der Fed, Staatsanleihen aufzukaufen, ist der eigentliche Beweis dafür, wie tief die USA bereits in der Deflationsfalle stecken. Von Inflation ist weit und breit nichts zu erkennen. Auslöser bleibt, keine Frage, natürlich die Immobilien- und Finanzkrise, ähnlich wie in Japan.
Man fragt sich nur, warum so wenige von Deflation reden, dazu gleich mehr.
Teufelszeug
Deflation ist so ziemlich das Letzte, was die USA brauchen können. Alles in den USA ist verschuldet, die Bürger, die Bundesstaaten, der Staat selber. Deflation aber führt dazu, dass jeder Schuldner quasi eine zusätzliche Zinslast zu tragen hat. Sie verteuert Kredite und ist somit ein höchst ungünstiges Umfeld für Schuldner.
Die Rettung
Die USA brauchen somit unbedingt Inflation, wenigstens aber die Illusion der Inflation. Sprich: die Inflationserwartungen von Wirtschaft und Konsumenten müssen steigen! Denn Inflation bringt letztlich auch die Wirtschaft auf Trapp (dazu gleich noch mehr). Dass eine handfeste Inflation natürlich auch die Schulden, nicht zuletzt der USA, entwerten würde, wäre ein angenehmer Nebeneffekt. Doch die meisten Analysten, die davon ausgehen, dass dies der eigentlich Grund sei, weshalb die Fed nun mit Macht eine extrem expansive Politik betreibt, verkennen Ursache und Wirkung bzw. unterschätzen massiv die aktuellen Schwierigkeiten und natürlich auch die Gefahren der aktuellen deflationären Entwicklung. Möglicherweise ist das momentan sogar auch die Ursache für die gegenwärtige Marktschwäche. Da der Markt die Situation inzwischen offenbar durchschaut und vor der Größe und besonders dem ungewissen Ausgang dieses „Live-Experiments“ zurückschreckt, bleiben die Kurse belastet.
Seltener Schulterschluss mit den USA
Etwas seltsam ist dabei, dass so viele Analysten, die denken, dass die Maßnahmen der US-Regierung und der Fed lediglich dazu dienen, eine Inflation zu initiieren, diesen einen Erfolg zutrauen. Das tun sie doch sonst nicht. Aber Spaß beiseite. Ein wesentlicher Faktor bei der Vermeidung der Deflation ist, dass die Menschen die Deflation nicht erkennen!
Die Sorge vor einer Inflation (die ja inzwischen auch schon so langsam vom Mainstream aufgegriffen wird) würde die Unternehmen dazu bringen, Kredite aufzunehmen und zu investieren. Das ist wichtig. Auch wird die Bereitschaft größere Anschaffungen zu tätigen steigen. Bei einer Sorge vor einer Deflation wäre das Alles nicht der Fall. Das Geld wird zur Seite gelegt – Investitionen zurückgehalten. Hat sich erst einmal eine Deflation etabliert, wird es somit sehr schwierig aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen. So gesehen ist es gut, dass so viel vor Inflation gewarnt wird. Ob sogar Absicht dahinter steckt, überlasse ich Ihrer Fantasie.
Fazit
Die aktuelle Finanzkrise und die nun bereits deutlich sichtbaren Folgen für die US-Wirtschaft schaffen ein dramatisches deflationäres Umfeld. Die USA versuchen diesem mit all den Mitteln zu begegnen, die in der aktuellen ökonomischen Lehre als probates Mittel zur Bekämpfung einer Deflation angesehen werden. Leider gibt es bisher keinen historischen Beleg dafür, dass diese Mittel auch tatsächlich funktionieren. Es ist ein großes Experiment mit ungewissem Ausgang. Als Anleger, aber auch als Arbeitnehmer, kann man nur hoffen, dass es funktioniert. Deflation ist nicht gut für die Märkte und führt zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Zunächst müssen also die USA eine „Inflationshysterie“ entfachen. Ob daraus eine echte Inflation wird, hängt auch davon ab, wie schnell die Löcher im Finanzsystem über die Ausweitung der Geldmenge gestopft werden können und wie gut, beziehungsweise wie präzise es der Fed später gelingt, die überschüssige Liquidität wieder abzusaugen.
Sie sehen, es ist überhaupt nicht sicher, dass es in absehbarer Zeit zu einer Inflation kommt. Im Moment haben wir es mehr mit Deflationssorgen zutun. Hat sich die Deflation erst einmal etabliert, wird es sehr, sehr schwer, aus dieser wieder heraus zu kommen. Gerade auch, weil die US-Banken sicherlich noch einige Jahre mit den Folgen der aktuellen Krise zu kämpfen haben.
Viele Grüße
Ihr
Jochen Steffens
P.S. Eben hat nun auch der S&P500 die bisherigen Tiefs unterschritten. Nun ist die letzte Frage der Bullen: Wird das nachhaltig?
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