Extremdura – Vogelbeobachtung in Spanien
Höhenflüge an der Börse sind seltener geworden, und vielleicht auch deshalb hat sich mein Kollege, der Journalist und Autor Tobias Büscher, diesmal dorhin begeben, wo Höhenflüge garantiert sind: im Nationalpark der spanischen Extremdura. Mit Ornithologen war er mehrere Tage unterwegs und stellte fest: Vögel beobachten ist wesentlich entspannender als Börsenkurse. Wenn Sie mehr über Spanien erfahren möchten: www.spanien-reisemagazin.de
Unter Ornithologen
Ein Ausflug mit Vogelbeobachtern in die fast menschenleere spanische Extremadura
von Tobias Büscher
Schon am Flughafen Düsseldorf komme ich mir vor wie ein Depp. Als Journalist soll ich eine Gruppe von Ornithologen in die Extremadura begleiten und die Männer, die da vor mir stehen, gehören offensichtlich dazu. Sie tragen feste Wanderschuhe, ich dagegen Turnschuhe. Sie haben gigantische Fototaschen, ich eine harmlose Spiegelreflexkamera. Sie haben potente Fernrohre dabei und ich noch nicht einmal ein Opernglas. Sie reden auch anders. Über Purpurreiher, Nistzeiten und so. Hoffentlich merkt keiner, dass ich gerade mal einen Storch von einem Rotkehlchen unterscheiden kann.
In Madrid angekommen, geht es mit dem Bus weiter, dreieinhalb Stunden bis Cáceres im Herzen der Extremadura.
Touristisches Niemandsland
Wir fahren nach Westen Richtung Portugal in das am wenigsten besiedelte und touristisch kaum erschlossene Gebiet Spaniens. In den weiten Steppengebieten und Savannenwäldern wachsen Stein- und Korkeichen, grasen Merinoschafe und dösen Kampfstiere. In den Sierras leben Wölfe, Ginsterkatzen, Luchse und eine in Europa einzigartige Vogelwelt.
Zunächst aber hoffen wir, die Trabantenstädte rund um Madrid hinter uns zu haben. Wie geklont stehen die Betonsiedlungen links und rechts der Schnellstraße, fensterlos, neu und unbewohnt, dazwischen Kräne und weite Parkplätze ohne Autos. Es sind Rohbauwüsten, die den Crash der spanischen Bauindustrie symbolisieren, der derzeit viele spanische Familien in dramatische finanzielle Schwierigkeiten bringt. Doch im Bus sind keineswegs die vielen Schilder „se vende“ (zum Verkauf) ein Thema, sondern der kleine schwarze Vogel, der sich da gerade auf der Leitplanke niederlässt. Alle Fernrohre richten sich auf ihn und eine angeregte Unterhaltung beginnt. Mal ehrlich, haben die sie noch alle?
Noch ahne ich nicht, dass mich die Ornithologen bald schon durch ihre sündhaft teuren Zeiss-Röhren blicken lassen und ich mich fernab der Zivilisation für Rotkopfwürger und Haubentaucher begeistern kann.
Höhenflüge im Vogelparadies
Kein Vogelkundler der Extremadura ist so berühmt wie der Brite Martin Kelsey. Er ist einer der wenigen professionellen Vogelwissenschaftler vor Ort und lebt hier schon seit vielen Jahren mit seiner Familie.
Mit ihm sitzen wir nach unserer Ankunft in einem Restaurant der mittelalterlichen Stadt Cáceres und essen Serrano-Schinken, Oliven und den weichen, würzigen Schafskäse Torta del Casar. Die Teilnehmer freuen sich schon auf das, was er für die nächsten Tage verspricht: Fahrten zu entlegenen Naturparks und zum Nationalpark Monfragüe, wo jeder Ornithologe Höhenflüge bekommt.
Martin ist ein hochgewachsener, freundlicher Mann mit einem Faible für alles, was fliegt. „Nicht nur im Frühjahr, vor allem im November ist die Extremadura ein El Dorado für uns“, sagt der Wissenschaftler. „dann ziehen mehr als 80 000 Kraniche von Skandinavien und Weißrussland aus hierher und ernähren sich in Reisfeldern und von Eicheln.“ Martin ist Mitglied der „Sociedad Española de Ornitología“ und hilft dabei, neue Statistiken und neue Erkenntnisse über die Vogelwelt auszuarbeiten. Eine davon: die Vogelwelt der Extremadura ist erstaunlich intakt. Es gibt kaum Industrie und daher viel Lebensraum für Arten, die in anderen Regionen Europas fast oder ganz ausgestorben sind. Eine andere Erkenntnis: Es ist unglaublich wichtig, Plattformen für Storchennester zu schaffen. Tatsächlich dominieren die Weißstörche die Landschaft wie kein anderer Vogel. Es gibt rund 12 000 und bei einer solchen Präsenz gucken die Anwohner nicht einmal mehr hin, wenn einer über ihnen schwebt. Vielmehr machen sie sich Sorgen, dass die klappernden Schreitvögel auf den Schornsteinen ihrer Häuser nisten und Unrat und kleine Schlangen durch die Schächte fallen. Neben Fröschen bringen die Tiere so etwas durchaus auch mit ins Nest. Ein zusätzliches Problem ist das Gewicht ihrer Brutplätze, durch die sogar schon Haus- und Kirchdächer eingestürzt sind. Die Regierung hat daher zahlreiche Pfähle errichten lassen, auf denen die Tiere nisten. Storchableiter, sozusagen.
Das Kreisen der Mönchsgeier
Die Extremadura ist mit fast 42 000 km2 größer als Belgien, doch leben auf einem Quadratkilometer kaum 25 Einwohner. Das Gebiet im Südwesten von Madrid war früher das Armenhaus Spaniens. Franco mochte die Extremeños ohnehin nicht, die im Spanischen Bürgerkrieg vorwiegend auf Seiten der Republikaner kämpften und traditionell links wählen, bis heute. Er ließ zwar jede Menge Staudämme errichten, vernachlässigte aber die Infrastruktur. Auch in Zeiten der EU-Förderungen wurde in den Sierras nicht viel gebaut, nun aber zum Schutz der Natur. 1979 ernannte die Lokalregierung dann den ersten Naturpark und inzwischen sind die zahlreichen Sierras wie San Pedro, de Pela, de Fuentes, Siruela und Moraleja ein Garant dafür, dass die Vögel nicht aussterben wie andernorts in Europa.
Das Highlight für Ornithologen ist der Parque Nacional de Monfragüe links und rechts des Flusses Tajo. Wir sind mit dem Bus in aller Herrgottsfrühe zu einer Anhöhe am Nationalpark nördlich von Cáceres gefahren, zum Salto del Gitano. Hinter der alten Burg ist die Aussicht beeindruckend, doch alle zieht es zum Felsen Peñafalcon direkt am Tajo.
Sündhaft teure Spektive
Der Holländer Laurens, der Brite Trevor, der Finne Juha und der Ire Niall bringen ihre kompakten Stative in Stellung und schrauben Spektive darauf, durch die man sogar das Gefieder der weit entfernten Vögel scharf erkennen kann. Hier lassen sich Geier besonders gut beobachten, hat uns Martin vorher erklärt, und tatsächlich: wir sehen Gänsegeier und Mönchsgeier, manchmal 20 Exemplare gleichzeitig, sie kreisen nah vor uns. 
Ich stehe wie unter Hypnose am rechten Rand der Plattform und versuche, einen Mönchsgeier ins Visier zu bekommen. Ich merke gar nicht, dass alle anderen aus der Gruppe längst wieder im Bus sitzen und allmählich sauer werden. Ganz allein mit den Vögeln und es ist sehr ruhig. Es ist wunderschön. Nur kreisende Geier, keine menschliche Stimme. Bus? Uhrzeit? Termine? Egal! Die majestätischen Greifvögel haben mich vollkommen in ihrem Bann.
Dann schließlich taucht der Leiter auf, schüttelt den Kopf und zieht mich mit Körpereinsatz von der Plattform weg. „Tobias“ witzelt er, „Du bist ja schon fast wie wir. Wenn du jetzt noch deinen hellen Anorak durch einen dunklen ersetzt, bist du noch besser. Deiner schreckt nämlich die Vögel ab.“