Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
noch rund einem Monat später, nachdem es im April zu einem starken Einbruch bei den Rohstoffpreisen kam, insbesondere bei Edelmetallen, rätseln die Experten über Ursachen und Folgen. Klar ist für alle Beteiligten lediglich, wer schuld an diesem „Crash“ ist: die Spekulanten, wie auch sonst. Schließlich wurden z.B. beim Gold tatsächlich viele spekulative Positionen (über Futures), vor allem von Hedgefonds, aufgelöst.
Die bösen Rohstoffspekulanten?
Da jedoch diesmal die Lebensmittelrohstoffe weniger betroffen waren und die Preise zudem fielen, hielt sich der Aufschrei über die „bösen Spekulanten“ in Grenzen. Das macht diese Behauptung allerdings trotzdem nicht wahrer.
Typische Spekulanten, also Trader, die kein wirtschaftliches Interesse (z.B. als Produzenten oder Verarbeiter) an der Ware selbst haben, aber trotzdem auf einem Markt mit Futures handeln, verstärken zwar mit ihrem Handeln einen Trend, aber sie lösen ihn nicht aus. Und es ist keineswegs so, dass allein die Abwesenheit der Spekulanten die Extreme auf einem (Rohstoff-)Markt verhindert. So stiegen z.B. von 2004 bis 2008 auch für Rhodium, ein Edelmetall, das hauptsächlich in Abgaskatalysatoren für Autos eingesetzt wird, die Preise um das 20-fache – nur um nach dem Platzen der Rohstoffblase im Zuge der Finanzkrise um 90 % einzubrechen.
Preisextreme auch ohne Spekulanten
Für Rhodium gibt es aber keinen Terminmarkt (Futurehandel), so dass Spekulanten in diesem Markt gar nicht eingreifen können. Aber viel eindrucksvoller ist ein anderes Beispiel aus dem Lebensmittelsektor: Es zeigt, dass selbst nach einer Verbannung von Spekulanten Marktturbulenzen an der Tagesordnung sind.
Zwiebeln sind die einzige Ware in den USA, für die Termin-Futures abgeschafft wurden. Dieses Verbot wurde 1958 in Kraft gesetzt und geht auf Ereignisse aus den Jahren 1955/56 zurück. Im August 1955 stiegen die Zwiebelpreise unvermittelt um das Mehrfache des sonst üblichen Preises. Zu dieser Zeit, kurz vor Beginn der Erntesaison, entspannt sich normalerweise die Preissituation. Der Preisanstieg erfolgt üblicherweise über den Winter (wegen der zunehmenden Lagerkosten und -verluste), bis im April die Aussaat beginnt und die Preise ein Hoch erreichen.
Wie die Zwiebel-Blase platzte
Die hohen Augustpreise bewogen die Bauern jedoch dazu, ihre frisch geerntete Ware sofort komplett auf den Markt zu werfen. Schließlich würden sie gute Preise erzielen und sich die lange und verlustreiche Lagerung während des Winters ersparen. Über Chicago, dem Zentrum des Rohstoffhandels in den USA, brach also eine wahre Zwiebellawine herein. Natürlich begannen die Preise daraufhin zu fallen.
Das hatte aber nicht den gewünschten Effekt. Denn die Bauern, die ihre guten Preise schwinden sahen, aber immer noch mit vergleichsweise guten Kursen rechneten, beeilten sich umso mehr, ihre Ware loszuschlagen. Da zudem allein die physische Abwicklung dieses exorbitant hohen Warenaufkommens geraume Zeit in Anspruch nahm, endete der Preisverfall erst im März 1956. Dann allerdings lagen die Preise mehr als 90 % unter dem sonst üblichen Marktpreis. Weil aber viele Bauern ihre Ware aufgrund des Überangebots zuvor nicht loswurden, saßen sie nun auf nahezu wertlosen Produkten, die sie schließlich zum Großteil vernichten mussten.
Gerald Ford und die Zwiebel-Lobby
In den Folgejahren bemühte sich die Zwiebel-Lobby, ein Gesetz gegen den Future-Handel zu erwirken, da ihrer Meinung nach vor allem bösartige Spekulanten an diesem Desaster schuld waren. (Es stellte sich tatsächlich heraus, dass Manipulation im Spiel war. Allerdings waren daran auch etliche Zwiebelproduzenten selbst beteiligt.) Schließlich fanden die Zwiebelbauern in dem aufstrebenden Kongressabgeordneten Gerald Ford (der später, nach dem Rücktritt Richard Nixons, von 1974 bis 1976 US-Präsident war) einen politischen Unterstützer ihrer Sache, dem es 1958 gelang, ein Gesetz durchzubringen, das den Futurehandel bei Zwiebeln verbot. Dieses Gesetz ist bis heute in Kraft.
Den Preisausschlägen im US-Zwiebelmarkt tut allerdings die Verbannung der Spekulanten keinen Abbruch, wie der folgende Chart des US-Zwiebelpreisindex (schwarze Kurve) seit 1960, also zwei Jahre nach Inkrafttreten des Verbots, zeigt:
Quelle: US Department of Agriculture
Allenfalls in den 1960er Jahre, also in der Anfangszeit der spekulationsfreien Phase, waren die Kursausschläge etwas geringer. Generell kam es jedoch immer wieder zu Preisausschlägen nach oben und unten, die den langfristigen Trend (dicke rote Linie) um das Doppelte oder mehr überstiegen bzw. um mehr als die Hälfte darunter fielen (rot schattiertes Band).
Die Ironie der Zwiebel-Geschichte
Dieses historisch einmalige Beispiel zeigt also sehr deutlich, dass nicht die Futures oder die Spekulanten, die mit ihnen handeln, sondern die jeweiligen Marktbesonderheiten sowie das typische menschliche Verhalten solche Preisschwankungen auslösen.
Ironie der Geschichte: Der Sohn eines der Aktivisten, die damals für die Einstellung des Future-Handels kämpften, ist heute ebenfalls der Meinung, dass die Schwankungsanfälligkeit der Preise seit dem Future-Verbot zugenommen hat. Er befürwortet inzwischen eine Wiedereinführung von Zwiebel-Futures, weil dies – seiner Meinung nach – die enorme Volatilität deutlich verringern würde.
Aber das ist natürlich Wunschdenken, und über kurz oder lang würden nach Wiederaufnahme des Future-Handels „die Spekulanten“ erneut für die Preissprünge verantwortlich gemacht...
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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