Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
was haben Fußball, Politik und Börse gemeinsam? Klar, bei Fußball und Börse fällt einem gleich Borussia Dortmund ein, der einzige börsennotierte Fußballclub hierzulande. Dessen Aktie machte nach dem überzeugenden Sieg gegen Real Madrid im Halbfinalhinspiel der Champions League Ende April einen kräftigen Sprung nach oben. Und Politik und Börse sind seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 so eng und lang anhaltend verquickt wie kaum jemals zuvor in der Börsengeschichte. Aber Fußball und Politik und Börse?
Sexy Fußball, dröger Sponsor
Nun, fast zeitgleich mit dem Hinspielsieg des BVB wurden die Aktien eines Unternehmens erstmals an der Börse gehandelt, das Fußballfans, insbesondere aus Dortmund, durch den Schriftzug auf den Borussia-Trikots bekannt sein dürfte: Evonik Industries AG.
Als Trikotsponsor hat Evonik damit eine gewisse Popularität, als Unternehmen dürfte es für die meisten ein unbeschriebenes Blatt sein. Im Gegensatz zu Fußball ist Evoniks Hauptgeschäft, die Spezialchemie, kaum irgendwie sexy, und das typische Sammelsurium an kaum bekannten Produkten und Geschäftsfeldern, die sich in dieser Branche üblicherweise unter einem Unternehmensdach finden, macht auch den Aufbau einer Markenidentität nahezu unmöglich.
Das muss jedoch dem Erfolg des Unternehmens bzw. der Aktie keinen Abbruch tun. Das Beispiel Lanxess beweist das. Lanxess, 2004 von der Bayer AG abgespalten und lange als das hässliche Entlein betrachtet, mauserte sich jedoch – auch dank eines konsequenten Managements – zu einem stolzen Börsen-Schwan und hat es inzwischen bis in den DAX geschafft.
Evonik, so erfolgreich wie der BVB?
Ähnlich könnte der Weg auch für Evonik verlaufen, gilt doch auch dieses Unternehmen als gut geführt und ausgesprochen innovativ (z.B. Entwicklung und Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus in einer gemeinsam mit Daimler geführten Tochtergesellschaft, der Li-Tec Battery GmbH). Wird also Evonik an der Börse so erfolgreich wie Dortmund im Fußball? Zählen wir einfach die Punkte zusammen.
Daran sind trotz der guten Voraussetzungen zumindest Zweifel angebracht. Denn im Gegensatz zu Lanxess, deren Aktien faktisch zu 100 % in Streubesitz sind, wird Evonik von einem Hauptaktionär dominiert. Und das ist leider hochpolitisch.
Dieser Hauptaktionär, nach dem aktuellen „Börsengang“ mit knapp 69 % der Aktien, ist die RAG-Stiftung, die über mehrere Umfirmierungen aus der ehemaligen Ruhrkohle AG hervorgegangen ist. Die Ruhrkohle AG und ihre Nachfolgerinnen waren jedoch über Jahrzehnte einer der Hauptempfänger staatlicher Subventionen zur Aufrechterhaltung des Steinkohlebergbaus in Deutschland. Entsprechend eng sind die Bindungen zwischen Stiftung und Politik. (Stiftungsvorsitzender ist z.B. der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller.)
Evonik, Kohle und die lange politische Leine
Aufgabe der RAG-Stiftung ist es vor allem, ab 2018 die sogenannten Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus in Deutschland zu bestreiten. Dazu gehören hauptsächlich die Sicherung alter Bergwerksstollen und deren permanentes Auspumpen von einschießendem Grundwasser. Nach einem Bericht der FAZ aus dem Jahr 2011 geht es bei Letzterem um rund 100 Mio. Kubikmeter Wasser pro Jahr. Der ehemalige Vorsitzende der RAG-Stiftung Wilhelm Bonse-Geuking bezifferte die Kosten auf rund 2 Euro pro Kubikmeter, so dass allein 200 Mio. Euro Kosten für diese „Grundwasserhaltung“, wie es im Bergwerksjargon heißt, anfallen.
Dieses Geld sowie die erforderlichen weiteren Mittel (insgesamt werden die jährlichen Kosten auf bis zu 250 Mio. Euro beziffert) muss Evonik aufbringen – vorzugsweise über Dividenden, die das Unternehmen seinem Hauptaktionär (und allen anderen) zahlt. Bei rund 465 Mio. Evonik-Aktien und einer geschätzten Dividende von 0,92 € pro Aktie (= aktuell 2,9 % Dividendenrendite) würden jährlich knapp 295,5 Mio. Euro Dividenden in die Kasse der RAG-Stiftung fließen.
Üppige – und voraussichtlich auch relativ verlässlich – steigende Dividenden sind natürlich auch für andere Anleger interessant. (Einer der ersten Großinvestoren, die bei Evonik einstieg, war daher auch der Staatsfonds Temasek aus Singapur.) Das ist also schon einmal ein Pluspunkt, also 1:0 für die Anleger bei Evonik.
Kurz- und mittelfristiger Ausstieg wichtiger Aktionäre
Die genannte Dividendenhöhe würde zwar reichen – wenn die Dividendenerhöhungen bis 2018 mit der zu erwartenden Kosteninflation bis dahin Schritt halten. Allerdings will die Stiftung ihren Aktienanteil bis 2018 auf rund 25 % reduzieren, um ihre Mittel breiter zu streuen und unabhängiger von den Konjunkturschwankungen des relativ volatilen Chemiegeschäfts zu werden. (So übernahm die RAG-Stiftung für die Erlöse des Börsengangs bereits die ehemalige Evonik-Immobiliensparte.)
Auch der bisherige Minderheitsaktionär, der britische Finanzinvestor CVC Capital Partners dürfte seine verbliebenen rund 18 % Aktien bald losschlagen. Schließlich haben die Briten seit ihrem Einstieg Mitte 2008 ihr eingesetztes Kapital um rund 150 % vermehrt...
Wenn allerdings die Hauptaktionäre kurzfristig bzw. in den kommenden Jahren mehr als 60 % des gesamten Aktienkapitals auf den Markt werfen, dann spricht das eher für sinkende Kurse. Das ist ein klarer Minuspunkt für Evonik-Aktionäre – aktueller Zwischenstand also 1:1.
ThyssenKrupp lässt grüßen
Trotz der Reduktion ihres Anteils will die RAG-Stiftung aber in jedem Fall an einem Minderheitsanteil von knapp über 25 % festhalten. Dieser reicht, um unliebsame Beschlüsse des Vorstands oder anderer Aktionäre zu verhindern, z.B. Dividendenkürzungen oder Kapitalerhöhungen. Damit wird der unternehmerische Spielraum der Evonik-Führungen potenziell eingeschränkt, und über kurz oder lang ist so auch Aktionärsfrust vorprogrammiert. Prominente Beispiele gibt es dafür durchaus.
Bei ThyssenKrupp ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in einer ähnlichen Rolle und pochte seit Jahren auf Dividendenausschüttungen, auch wenn der Stahlkonzern die Mittel an anderer Stelle dringender gebraucht hätte. Ähnlich die Situation bei der Deutschen Telekom, die immer noch zu 32 % im Besitz der Bundesrepublik Deutschland bzw. der mehrheitlich ihr gehörenden KfW-Bank ist. Auch hier werden dringend notwendige Investitionen seit Jahren verschoben, da die Dividendenzahlungen an die Anteilseigner wichtiger sind als eine effiziente Geschäftsstrategie.
Der Kurs der Telekom-Aktie, der seit Jahren stagniert, zeigt die Folgen für Anleger. Evonik, das offensichtlich in eine ähnliche Richtung steuert (die Krupp-Stiftung und ThyssenKrupp sind das erklärte Vorbild für die RAG-Stiftung und Evonik), bietet also damit in der Perspektive ebenfalls nur eine begrenzte Kursfantasie. Das gilt insbesondere, wenn das Unternehmen von der nächsten Krise getroffen wird und dann beherzte, aber kostenintensive Maßnahmen erforderlich werden – die aber unter Umständen ausgebremst werden.
Das ist ein weiterer Minuspunkt für die Anleger, also 1:2 im Spiel um Evonik.
Für Dividendenjäger einen Blick wert
Schließlich besteht aufgrund der starken politischen Interessen in und an der RAG-Stiftung stets die Gefahr, dass diese sowie letztlich auch Evonik für andere Zwecke instrumentalisiert werden. In der Satzung der RAG ist zum Beispiel neben der Finanzierung der Ewigkeitskosten des Bergbaus ausdrücklich auch „die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur in den Bergbauregionen an Ruhr und Saar [...] im Zusammenhang mit dem deutschen Steinkohlenbergbau“ vorgesehen.
Ein Großaktionär, der aber unter Umständen Interessen verfolgt, die zu denen des Unternehmens im Gegensatz stehen, ist potenziell eine Gefahr, vor allem für andere (Klein-)Aktionäre – ein weiterer Minuspunkt. Das Spiel um Evonik endet also 1:3 und damit mit einer klaren Niederlage für mögliche Aktionäre.
Fazit: Ein Investment in Evonik-Aktien ist aus konservativer Sicht nur für Anleger geeignet, die an einer hohen und vergleichsweise konstanten Ausschüttung interessiert sind und die Kursrückschläge idealerweise durch Nachkäufe oder alternativ durch „Aussitzen“ verschmerzen können.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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