Bis wohin können die Märkte noch steigen?
Bis wohin können die Märkte noch steigen?
von Jochen Steffens
Der DAX steigt und steigt, und viele Anleger fragen sich bereits, ob nicht bald eine größere Konsolidierung fällig ist. Aber die Entwicklung des DAX ist ein Sonderphänomen. Die deutsche Wirtschaft brummt, der schwache Euro unterstützt den wichtigen Export-Sektor und die deutschen Großunternehmen verdienen wieder gutes Geld.
Etwas anders sieht das Bild aus, wenn man den europaweiten Stoxx-600 analysiert - hier im direkten Vergleich mit dem DAX (graue Linie):
Zunächst fällt auf, dass sich der DAX seit dem 2008/09er Crash wesentlich besser entwickelt hat. Während der DAX seine bisherigen Jahreshochs bereits vor Wochen nach oben auflösen konnte und damit aus der ehemaligen Seitwärtsbewegung ausgebrochen ist, befindet sich der Stoxx-600 noch in eben dieser.
Die Tage der Entscheidung
Mit der heutigen Kursentwicklung scheint er allerdings über das bisherige Jahreshoch ausbrechen zu wollen. Sofern sich dieser Ausbruch als nachhaltig herausstellt, wäre das ein sehr bullishes Signal. In diesem Fall müsste man aus charttechnischer Sicht davon ausgehen, dass der breite Aufwärtstrendkanal (blau) weiter relevant bleibt.
Und damit wäre dieser Ausbruch ein erstes, sicherlich sehr frühes Zeichen dafür, dass die Krise in Europa bereits abgearbeitet ist - zumindest was deren Einfluss auf den Aktienmarkt anbetrifft. Ich hatte den Zusammenhang zwischen charttechnischen Signalen und wirtschaftlichen/politischen Begebenheiten hier bereits mehrfach dargestellt.
25 % Aufwärtspotenzial
Wenn Sie sich nun den oben eingezeichneten Aufwärtstrendkanal anschauen, wird sofort deutlich, welches theoretische Aufwärtspotenzial im Stoxx-600 steckt, sobald der Ausbruch gelingt. Er könnte im besten Falle direkt bis an die obere Linie des Kanals laufen. Dieser würde den Kursanstieg im Bereich der 340-Punkte-Marke begrenzen. Das entspricht einem Anstieg von 25 %. Wo dann der DAX stehen wird, kann man nur ahnen. Wobei sich natürlich durchaus irgendwann die Schere zwischen Stoxx und DAX wieder schließen sollte. Doch ob das bereits kurzfristig geschehen wird, ist mehr als fraglich.
Zwischenfazit
Aus Sicht des Stoxx-600 entsteht mit dem heutigen Ausbruch ein hohes Aufwärtspotenzial. Da der DAX zurzeit eine Sonderrolle einnimmt, kann man den Anstieg im deutschen Leitindex nicht mehr so gut als Gradmesser für die Intermarket-Analyse nutzen.
Der Euro-Stoxx-50
Einen Pferdefuß hat diese bullishe Analyse zugegebenermaßen allerdings: Der weniger breite und auf die Euro-Länder beschränkte Euro-Stoxx-50 sieht im Vergleich zum Stoxx-600 noch deutlich schwächer aus:
Im Euro-Stoxx-50 fehlt dieses bullishe Signal. Er kämpft stattdessen mit der Unterseite seines Aufwärtstrends. Das ist auch der Grund, warum ich das obige Signal auch nur einen „ersten, frühen“ Hinweis genannt habe. Sollte jedoch im Zuge der weiteren Entwicklung der Euro-Stoxx-50 ebenfalls seine Jahreshochs (rote Linie) nach oben auflösen, wäre dies bereits ein nachhaltiger Hinweis darauf, dass die Krise in Europa ihren Einfluss auf die Aktienmärkte verliert.
Aktienmärkte nehmen das Ende einer Krise meist sehr viel früher vorweg
Natürlich ist es zurzeit schwer vorstellbar, dass Europa in so kurzer Zeit mit den Krisen fertig wird. Aber darum geht es nicht. Es geht vielmehr um die Frage, wie empfindlich reagieren die Anleger auf schlechte Nachrichten? Und mit der Zeit stellt sich einfach eine gewisse „Krisenmüdigkeit“ ein. Das heißt, neue schlechte Nachrichten werden nicht mehr als weitere Verluste am Aktienmarkt umgesetzt. Diese Krisenmüdigkeit taucht sogar in weitaus dramatischeren Fällen, zum Beispiel bei Kriegsereignissen auf. Der Mensch ist eben ein höchst anpassungsfähiges Wesen, und jeder Reiz verliert mit der Zeit seine Wirkung. Und da an den Börsen immer noch hauptsächlich Menschen handeln, kann man diese Eigenart natürlich auch auf die Börsen übertragen.
Viele Grüße
Jochen Steffens